Eine einzigartige Sammlung von Drehleiern
Das Musikinstrumentenmuseum in Ortenberg/Lißberg ist ein ehrenamtlich geführtes Museum, das sein Konzept und seinen Grundstock dem Sammler Kurt Reichmann verdankt. 1990 gegründet, vergrößerte sich die Sammlung sukzessive durch Erbschaften und Schenkungen. „Eigentlich bräuchten wir einen Anbau, um alle Objekte optimal zu zeigen“, sagt Ulrich Ritter aus dem Kreis der Ehrenamtlichen, die den Betrieb des Museums sicherstellen.
Ein Musikinstrumentenmuseum, in dem keine Musik erklingt, ist allerdings eine traurige Sache. Deshalb ist es gut, dass viele der Ehrenamtler es verstehen, die historischen Instrumente zu spielen und vorzuführen.
Mehr als 2.000 Instrumente sind in dem ehemaligen Klassenzimmer der Lißberger Grundschule unterhalb der Burg im alten Dorfkern versammelt. Die Sammlung von Drehleiern und Dudelsäcken ist die weltweit größte. „Dudelsäcke“, so räumt Ulrich Ritter gleich zu Beginn mit einem Vorurteil auf, „stammen keineswegs aus Schottland. Sie sind in Polen und Sizilien genauso bekannt wie im Fernen Osten, wo sie vermutlich um das Jahr 1.000 im Himalaya erstmals gebaut wurden.“
Musikinstrumente dienen vor allem religiösen, amourösen und auch gewalttätigen, nämlich kriegerischen Zwecken. Gottesdienste werden schon lange mit Musik begleitet, etwa mit dem von Kurt Reichmann nachgebauten Organistrum, einem Vorläufer der Drehleier, mit dem die Mönche um das Jahr 1.000 ihre Gregorianischen Gesänge begleiteten.
Sackpfeifen (Dudelsäcke), aber auch alphornähnliche Blasinstrumente dienten vor allem der Kommunikation über weite Entfernungen. „Mit dem Sackpfeife ließen sich ganze Armeeeinheiten auf dem Schlachtfeld dirigieren“, berichtet Ulrich Ritter, „und schließlich dienen Musikinstrumente den schönen Künsten, Musik der Minne, um die Liebste zu gewinnen.“
Jedes der Instrumente hat eine eigene Geschichte, etwa das Kangling aus Tibet, hergestellt aus einem menschlichen Oberschenkelknochen, was dem Verstorbenen nach tibetischem Glauben die Möglichkeit zur Wiedergeburt verwehrt. Wenn aber der Mensch vom Ideal des Vorbildes abgewichen ist, kann es nützlich sein, wenn aus seinen Knochen Musik gemacht wird, die den Menschen Freude bereitet. Sie kann auf dem Weg zur Wiedergeburt helfen.
Rokokokokotten liebten das Instrument der Hirten
Musik hat immer etwas mit Liebe zu tun. Die Rokokokokotten hatten die Freude an der Musik mit dem Instrument der Hirten gefunden und luden damit zum Schäferstündchen ein.
„Das Besondere an unserem Museum ist“, erzählt Claudia Gottschalk, „dass man die Instrumente auch spielen kann. Viele dieser Instrumente hat der geniale Musikinstrumentenbauer Kurt Reichmann gebaut, etwa das „Nürmbergisch Geigenwerck“. Reichmann hat es nach einem Kupferstich mit kurzer Beschreibung des Michael Praetorius, der im Jahre 1619 sein Werk über die aktuellen Musikinstrumente der damaligen Zeit vorlegte, gebaut.
Das „Nürmbergisch Geigenwerck“ ist ein cembaloförmiges Instrument, dessen Saiten nicht abgezupft, sondern angestrichen werden. Dieses Streichklavier hat der Nürnberger Organist Hans Haiden 1575 erfunden. In seiner späteren Form hatte es fünf oder sechs Räder, deren Oberflächen mit Kolophonium eingerieben werden und die durch einen Fußtritt in Bewegung gesetzt werden können. Das Niederdrücken einer Taste zog eine Saite gegen das entsprechende Rad. Für die damalige Zeit ganz besonders: je stärker angeschlagen wurde, umso lauter wurde das Instrument.
Das in Lißberg ausgestellte Exemplar war lange Zeit das einzige spielbare „Nürmbergisch Geigenwerck“ überhaupt und hatte seinen größten Auftritt bisher beim Einspielen der Filmmusik für „Der Name der Rose“.
Nicht viel einfacher dürfte der Nachbau eines Streichklaviers von Leonardo da Vinci sein, der nicht mehr als eine grobe Skizze hinterließ, aus der Kurt Reichmann ein spielbares Instrument gebaut hat.
Das Besondere an Streichinstrumenten, Drehleiern und Sackpfeifen war der Wunsch, einen durchgehenden Ton zu erzeugen, der nicht unterbrochen wurde, etwa weil der Flötenspieler auch einmal Luft holen musste.
Instrumente des Volkes
„Viele Museen sind voll mit Instrumenten aus Fürstenhäusern, wir aber haben hier auch eine original Bettlerleier aus dem 19. Jahrhundert“, erzählt Ulrich Ritter und kommt damit auf die Geschichte der Hurdy-Gurdy-Girls, die im frühen 19. Jahrhundert in der Wetterau und später auch in Übersee unterwegs waren.
Die Wetterau ist eine reiche fruchtbare Landschaft, aber zu dieser Zeit war das Land sehr ungleich verteilt. Für die Landlosen war das Überleben schwer, viele verdienten sich mit der Herstellung von Besen und Fliegenwedeln ihr Geld. Solche Waren lassen sich aber mit Werbung besser verkaufen und wenn dabei ein hübsches, tanzendes und die Drehleier spielendes Mädchen dabei war, waren viele schon eher bereit, solche Produkte zu kaufen. Der Erfolg der Drehleiermädchen sprach sich herum. Werber lockten sie mit vielen Versprechungen in die Tanzkneipen nach England, in die Goldgräberstädte Nordamerikas und Australiens, wo nicht wenige von ihnen zur Prostitution gezwungen wurden.
Marienposaunen für das Kloster
Dass Drehleiern von Mädchen und Frauen gespielt wurden, hat noch einen anderen Grund. Bis in das 18. Jahrhundert galt es als unfein, wenn Frauen Blasinstrumente spielten. Manchmal hatte das ganz kuriose Auswirkungen, wie etwa die Erfindung der Marienposaune, ein Streichinstrument, mit dem die Nonnen im Kloster die Blechposaune ersetzen konnten.
Das Musikinstrumentenmuseum bietet vom gewaltigen Tafelklavier bis zur Maultrommel einen phantastischen Überblick über viele Musikinstrumente der letzten tausend Jahre.
Was man sonst noch machen kann
Man läuft über das Burgareal, durch den alten Dorfkern hinab zum großen Stausee, der zum einzigen Wasserkraftwerk in der Wetterau gehört. Anschließend lässt es sich schön Wandern, zum Beispiel in Richtung Hirzenhain und dann auf der Bonifatius-Route zurück nach Lißberg.