Tag der offenen Grabung in Ober-Wöllstadt

Um jungsteinzeitliche Häuser und eisenzeitliche Gräber ging es am Tag der offenen Grabung am Freitag, 25. Mai 2018 von 16 bis 18 Uhr in Ober-Wöllstadt. Interessierte erhielten die Möglichkeit, sich über die archäologischen Untersuchungen zu informieren. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit der Gemeinde Wöllstadt, der Archäologischen Denkmalpflege des Wetteraukreises sowie der HessenArchäologie durchgeführt.

Treffpunkt waren die Baucontainer an der Straße am nördlichen Ortsrand von Ober-Wöllstadt. Auf dem Grabungsgelände begrüßten Landrat Jan Weckler und Bürgermeister Adrian Roskoni.


Nur wenige hundert Meter Luftlinie zu den Grabungen auf der Trasse der B3 Ortsumgehung Wöllstadt 2013/14 und den Untersuchungen im benachbarten Neubaugebiet „Ilbenstädter Weg II“ 2014 mussten vor der Erschließung eines weiteren Baugebietes erneut archäologische Grabungen angesetzt werden.

Das Untersuchungsareal lag auf landwirtschaftlich genutztem Gelände, auf einer leicht nach Süden und Westen abfallenden Hanglage. Der Untergrund bestand aus Löss bzw. verwittertem Lösslehm. Durch intensive Feldbegehungen Mitte der 1990er Jahre des ehrenamtlichen Mitarbeiters der Archäologischen Denkmalpflege des Wetteraukreises Baldur Zehe waren vorgeschichtliche Funde aus diesem Areal bekannt. Für eine bessere Einschätzung der Befundlage wurde zunächst eine geophysikalische Prospektion durchgeführt. Sie zeigt, dass sich über das gesamte knapp 5 Hektar große Gelände archäologische Strukturen verteilen, die auszugraben sind.

Eine Vorgabe der Gemeinde Wöllstadt war, die südliche Hälfte des Baugebietes Ende 2017 befundfrei zu übergeben, damit im Frühjahr 2018 mit den Erschließungsarbeiten begonnen werden konnte. Dieses Ziel wurde erreicht. Dabei wurden insgesamt 29 Flächen geöffnet, mit denen auffällige Anomalien der Geomagnetik und Bereiche untersucht wurden, die durch die geophysikalische Prospektion nicht erfasst worden waren.

Bereits die erste Fläche wartete mit einer Überraschung auf. Neben den zu erwartenden Gruben zeigten sich zwei annährend komplett erhaltene Hausgrundrisse der Jungsteinzeit. Die beiden Häuser lagen in der Nordostecke von Fläche 1, die im Osten von einem asphaltierten Feldweg, im Norden von dem erst im Jahr 2018 auszugrabenden Teil des Neubaugebietes begrenzt wurde. Dadurch wurden die beiden in Nordwest-Südost-Richtung orientierten Grundrisse nicht vollständig erfasst. Das nordöstliche der beiden Häuser wurde im Nordwesten auf drei Seiten von rund 0,60 m breiten Wandgräben begrenzt, die sich bereits in der Geomagnetik abgezeichnet hatten. In diesem knapp über 11 m langen Gebäudeteil zeichneten sich drei Querjoche ab. Die beiden äußeren bestanden aus je drei Pfostenstellungen, bei dem mittleren scheint die Pfostenspur in der Mitte nicht mehr erhalten gewesen zu sein. In südöstlicher Richtung deuteten sich auf einer Strecke von 15 m zwei bis drei weitere Querjoche mit größeren Abständen an, die maximal noch aus zwei Pfostenstellungen bestanden. Weitere Spuren dürften hier der durch die Hanglage bedingten Erosion zum Opfer gefallen sein. Dies betraf wohl auch die Pfosten der Außenwände, die man im Südosten als Fortsetzung der Wandgräben erwarten könnte. Aufgrund der Erhaltung ließ sich nicht bestimmen, wie weit das Haus nach Südosten reichte.

Der zweite Hausgrundriss lag direkt im Südwesten des ersten und vollkommen parallel zu diesem. Das zweite Haus hatte Längswände aus Spaltbohlen, wie sich an den sehr eng gestellten, ovalen und quer zur Längsachse des Hauses ausgerichteten Pfostenstellungen zeigte. Die Langseiten waren in sich leicht nach außen gebogen und divergierten nach Südosten leicht voneinander. Der Grundriss war also leicht trapezförmig. Im Nordosten könnte der Abschluss des Hauses mit einer Querwand aus einzelnen, größeren Pfosten erreicht sein. Im Südosten laufen die Wände erhaltungsbedingt nach 23 m bzw. 27 m Länge aus. Der Abschluss im Südosten muss offenbleiben. Im Inneren des Hauses konnte im Nordwesten ein Querjoch aus drei mächtigen Pfostenstellungen nachgewiesen werden. Von zwei weiteren Querjochen schlossen sich im Südosten Reste aus je zwei Pfostenspuren an.

Die identische Ausrichtung der beiden Häuser und die Nähe zueinander sind sehr bemerkenswert. Die Außenkanten des Wandgrabens des ersten Hauses und der Wandpfosten des zweiten Hauses waren teilweise nicht einmal 0,20 m voneinander entfernt. Bei diesem geringem Abstand fällt es schwer, an einen Zufall zu denken. Vielmehr scheinen die Häuser aufeinander Bezug zu nehmen. Bei einem anzunehmenden Dachüberstand an den Längswänden können die beiden Häuser aber nicht gleichzeitig gestanden haben. Man müsste dann vielleicht annehmen, dass vom einen Haus noch Reste wahrnehmbar waren, während das zweite Haus errichtet wurde.

Das erste Haus weist Elemente auf, die man typischerweise bei Hausgrundrissen der älteren Jungsteinzeit findet. Und tatsächlich erbrachte das Umfeld der beiden Häuer auch bandkeramische Scherben. Den zweiten, leicht trapezförmigen Hausgrundriss wird man sicher ins mittlere Neolithikum setzten. Dementsprechend fand sich in großem Umfang Keramik der Rössener Kultur in einem großen, für die Lehmentnahme entstandenen Grubenkomplex rund 20 m südöstlich des Hauses.

Aufgrund der Grundrissformen und der Beifunde scheinen Datierung und Abfolge der beiden Häuser auf den ersten Blick klar zu sein. Die Nähe und der scheinbare Bezug der Häuser zueinander lassen aber das Bild nicht ganz so deutlich erscheinen. Auch einzelne Überschneidungen im Bereich der Häuser lassen noch Fragen offen, die im Feld auch mit detaillierten Profilen noch nicht eindeutig zu klären waren. Die im Jahr 2018 anzulegenden Erweiterungsflächen direkt im Norden bringen hoffentlich weitere Erkenntnisse.

Ein weiterer mittelneolithischer Hausgrundriss konnte rund 60 m südlich der beiden anderen Häuser mit identischer Ausrichtung ausschnitthaft erfasst werden. Der leicht trapezförmige, nach Südosten breiter werdende Bau mit Längswänden aus Spaltbohlen und Querjochen aus drei Pfosten konnte noch auf über 18 m Länge verfolgt werden. Eine kleine Siedlungsgrube mit rössenzeitlicher Keramik befand sich unmittelbar östlich des Hauses, eine größere, vermutliche Lehmentnahmegrube, lag rund 25 m entfernt im Südwesten.

Der etwas zerrissene Zustand des letztgenannten Hauses ist allenfalls zum Teil erosionsbedingt. Vielmehr wurde es gestört durch die zweite große Überraschung der Grabung, die sich hier in der Südostecke des Untersuchungsareals zeigte: Eine kompakte Grabgruppe der Hallstattzeit. Diese hatte sich in der Geomagnetik nur mit diffusen, nicht recht einzuordnenden Anomalien angedeutet.

Im Norden, Westen und Süden wurden die Grenzen des Gräberfeldes mit den geöffneten Flächen erfasst. Im Osten ist eine Fortsetzung jenseits des angrenzenden Feldweges im Nachbaracker anzunehmen. Insgesamt konnten 25 Körpergräber und dazwischen eingestreut noch 4 Brandgräber nachgewiesen werden. Die Körpergräber waren weit überwiegend Nord-Süd oder Nordnordwest-Südsüdost ausgerichtet, zum Teil auch Nordwest-Südost. Andere Orientierungen kamen nur in Einzelfällen vor.

Etwas aus dem Zentrum der Grabgruppe nach Süden verschoben konnten als Besonderheit die Reste von fünf Grabhügeln in Form von schmalen Kreisgräben nachgewiesen werden. Der kleinste hatte einen Außendurchmesser von rund 4,80 m, der größte maß rund 13 m. Von den drei südlichen Kreisgräben war noch ein Viertel bis die Hälfte des Umfangs erhalten. Die beiden nördlichen waren noch weitgehend vollständig vorhanden, wobei hier der Hügel im Osten nachträglich an den Hügel im Westen angebaut wurde. Diesen beiden Hügeln konnte ebenso wie dem größten sicher eine zentrale Bestattung zugewiesen werden. Der mittlere der drei Hügel im Süden schien im Zentrum eine Brandbestattung zu haben, doch ist die Zusammengehörigkeit beider Befunde nicht zwingend.

Die Kreisgräben waren lediglich um 0,20 m breit. Im Querschnitt waren sie kasten- oder u-förmig mit mehr oder weniger geraden und senkrechten Wänden. Maße und Formen lassen die Vermutung zu, dass in den Kreisgräben senkrechte Holzpfähle standen, die den Hügel/Grabbau abgrenzten oder auch abstützten.

Bemerkenswert ist, dass es bei den Körpergräben keine Überschneidungen gab. Die Gräber nahmen offenbar aufeinander Rücksicht bzw. bezogen sich aufeinander. Lediglich das südwestlichste Grab schnitt den hier liegenden Kreisgrabenrest.

Zwischen den drei mittleren Grabhügeln lagen drei Gräber, von denen zwei z.T. an Kreisgräben anbanden. Leider war hier das stratigraphische Verhältnis aufgrund rezenter Störungen nicht eindeutig zu klären. Nördlich des größten Kreisgrabens schienen sechs Gräber auf den Hügel Bezug zu nehmen und waren z.T. radial auf diesen ausgerichtet. Eine weitere Auffälligkeit sind drei offensichtlich paarweise angeordnete Gräber am nördlichen Rand der Gräbergruppe. Hier wäre es spannend, wenn die Auswertung der Gräber Beziehungen zwischen den jeweils benachbarten Bestattungen herausarbeiten könnte.

Die Auswertung der Gräber wird durch den schlechten Erhaltungszustand der Skelette etwas beeinträchtigt werden. Diese lagen in der Regel im kalkarmen Verwitterungslehm des Löss, was sich nachteilig auf die Knochenerhaltung ausgewirkt hat. Z.T. waren die Skelette vollständig oder bis auf die Zähne vergangen. Erhaltene Knochen umfassten hauptsächlich stabilere Partien wie Schädel und Langknochen. Feingliedrigere Skelettteile waren oft nur noch als Spuren nachweisbar. Dies betraf aber auch Langknochen, so dass nur noch ein Leichenschatten erhalten war. Soweit erkennbar lagen die Bestattungen immer mit dem Schädel im Süden. Vorherrschend war die Rückenlage, z.T. mit angewinkelten Unterarmen, vereinzelt gab es die Seitenlage mit leicht gebeugten Knien.

Die Beigabenausstattung mit ausschließlich hallstattzeitlichen Formen umfasste meist ein Keramikensemble aus einem Topf mit eingestelltem Becher sowie mehrere Schalen, das am Kopfende deponiert war. Schmuck- bzw. Trachtbestandteile bestanden meist aus paarweise getragenen Armringen. Deutlich weniger vertreten waren andere wie Beinringe, Ohr- bzw. Schläfenringe und Glasperlen. In einzelnen Fällen ließ sich eine Grabausstattung in Form von Steinen oder inkohltem Holz nachweisen. Keramikgefäße waren meist zerdrückt, Gefäße, die noch vollständig in situ standen, waren meist ebenfalls durch den Bodendruck gerissen. Die Metallbeigaben aber auch die Keramikgefäße wurden in aller Regel im Block geborgen und deswegen aus konservatorischen Gründen nicht bis zum letzten Detail freigelegt. Aus diesem Grund ist eine detaillierte Typenansprachen und Datierungen vor der Restaurierung der Funde schwierig. Die Beigaben, besonders die Keramikausstattung, machten aber einen recht homogenen Eindruck und ließen an eine nicht allzu lange Belegungsdauer denken, was sich ja auch in der inneren Gliederung des Gräberfeldes anzudeuten scheint.

Die vier Brandgräber waren leider schlecht erhalten und sämtlich angepflügt. Auch hier wurden Blockbergungen vorgenommen, eine zeitliche Ansprache bleibt damit vor der abschließenden Bearbeitung der Bestattungen schwierig. Zumindest wird ein Brandgrab von einem hallstattzeitlichen Körpergrab geschnitten.

Der Pflug hatte nicht nur die Brandgräber sondern auch mehrere Körpergräber in Mitleidenschaft gezogen. Obwohl die – wenn auch planmäßige und dokumentierte – Zerstörung der hier beschriebenen Gräber durch die archäologische Ausgrabung im Vorfeld der geplanten Baumaßnahme bedauerlich ist. Der Erhaltungszustand der Gräber und ein Lesefund aus den 1990er Jahren von einem angepflügten Grab zeigen, dass die hier vorgestellte Grabung wie viele ähnliche in der Wetterau für den Befund oft eine Rettung in letzter Minute ist.

Zum Abschluss sei noch kurz auf eine Siedlungsstelle der jüngeren Eisenzeit (Latènezeit) im Südwestteil des Untersuchungsareals verwiesen. Kegelstumpfförmige Vorratsgruben, unspezifische Siedlungsgruben und Pfostenstandspuren, die sich leider nicht zu sinnvollen Grundrissen ergänzen lassen, können in die Latènezeit datiert werden. Eine bronzene Fibel vom Mittelllatèneschema lässt hier eine engere Eingrenzung zu.

In die gleiche Zeit ist durch eine Eisenfibel ein Brandgrab zu datieren, das ganz am nördlichen Rand des künftigen Neubaugebietes gefunden wurde. Dieser Befund lag direkt unter dem Ackerhumus und war noch stärker angepflügt als die Gräber in der Südhälfte. Hier im Nordteil wurde im Vorgriff auf die im Jahr 2018 anstehende Grabung eine Testfläche geöffnet, um das Umfeld zweier spannender Befunde aus der Geomagnetik zu erkunden. Dabei handelt es sich um zwei Kreisgräben von 15 bzw. 20 m Durchmesser, die wohl auch zu Grabhügeln gehörten. Aber dies ist eine andere Geschichte, die hoffentlich im nächsten Jahr auf einem anderen Blatt stehen wird…