Die Wirtschaftswunderzeit hautnah erleben
Das 50er-Jahre-Museum in Büdingen ist in Deutschland ziemlich einzigartig. Zwar gibt es in Bremerhaven ein gleichnamiges Museum, das sich aber mit dem von Walter und Else Arbeiter vor 20 Jahren ins Leben gerufene Museum nicht messen kann.
Die 50er Jahre in Westdeutschland waren eine spannende und faszinierende Zeit, die geprägt war von den existenziellen Problemen eines schwer zerstörten Landes, aber auch gekennzeichnet von einer Aufbruchstimmung und einem neuen Selbstwertgefühl. Der Aufstieg des zerstörten Deutschlands zur zweitgrößten Industriemacht der Welt hatte einen Namen: „Wirtschaftswunder“. In diese spannende Zeit wird man im 50er-Jahre-Museum in der Büdinger Altstadt zurückversetzt.
Und wer lässt sich in diese Zeit zurückversetzen?
„Unsere Besucherinnen und Besucher sind ganz bunt gemischt. Es kommen viele ältere Menschen, die ihren Kindern und Enkeln zeigen, wie sie einst gelebt haben. Es kommen aber auch viele junge Menschen, die beim Abschied sagen: Das will ich meinen Eltern oder Großeltern noch einmal zeigen. Das ist ja deren Geschichte, die hier gezeigt wird“, berichtet Walter Arbeiter. Auch ganze Schulklassen kommen in das historische Gebäude, um einen lebendigen Geschichtsunterricht zu erleben.
Wer das Museum besucht, wird sofort gefangen genommen von der besonderen Atmosphäre: ein Moped-Roller, der einst dem 50er-Jahre-Teenie-Idol Conny Froboess gehörte, eine Vitrine mit Bildern und Schallplatten von Elvis Presley, ein beleuchteter fünfstufiger Zimmerbrunnen, ein Musikschrank mit Fernseher, Plattenspieler und Röhrenradio, eine Vitrine mit Geldscheinen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, damals noch in den USA gedruckt und dem Dollar nicht unähnlich, mit D-Mark-Scheinen, die ein Ausdruck des Wirtschaftswunders waren. Es gibt unzählige Dinge, die die Besucherinnen und Besucher in die Vergangenheit versetzen.
„Das Museum verfügt mittlerweile über mehr als 200.000 Exponate. Nur ein Bruchteil davon können wir hier im Museum zeigen, der Rest ist in 1.100 Bananenkisten übersichtlich geordnet eingelagert. Damit“, so Walter Arbeiter, „können wir regelmäßig Sonderausstellungen bestücken.“
Vom Röhrenradio zum Tefifon
Es gibt wohl kaum ein Museum in Deutschland, das diese so entscheidende Epoche deutscher Geschichte so umfangreich und detailliert darstellen kann. „Selbst das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn verfügt nicht über diese Vielzahl von Exponaten“, weiß Walter Arbeiter. „Wir zeigen bis ins kleinste Detail das Lebensgefühl dieser Aufbruchsjahre, und das wollen wir auch für die künftigen Generationen bewahren.“
Walter Arbeiter hat mit seiner im vergangenen Jahr verstorbenen Frau Else schon vor mehr als 40 Jahren angefangen, Exponate aus den 50er Jahren zu sammeln. „Das war unsere Kindheit und Jugend. Das hat mich einfach auch später noch fasziniert, und so haben wir den Grundstein für dieses Museum gelegt, das Ende November seinen 20. Geburtstag feiert“, erzählt Walter Arbeiter.
Tatsächlich gibt es unglaublich viel zu sehen: Allein der Tante-Emma-Laden ist einen eigenen Besuch wert. Menschen, die jünger als 30 oder 40 Jahre alt sind, haben überhaupt gar keine Vorstellung mehr, wie man in den 50er Jahren noch eingekauft hat. Da gab es keine Selbstbedienungssupermärkte. Da hat man sich an eine Theke gestellt und auf die Regale gezeigt. Da wurden Bonbons noch einzeln verkauft. Man kam für zwei Flaschen Mineralwasser und eine Flasche Bier zum Einkauf und hat noch drei Zigaretten für 20 Pfennig mitgenommen. Zucker und Mehl wurden abgewogen und in Papiertüten verpackt. All das ist in dem Laden noch zu sehen.
Weiter geht es zu einem Zeitungskiosk mit der ganzen Bandbreite der in den 50er Jahren gängigen Zeitungen und Zeitschriften. Trotz des Wirtschaftswunders ging es beengt zu in den Wohnungen. Das Bett verschwand an der Wand, die Klappcouch wurde für den Besuch ausgezogen, der Küchentisch hatte minimalistische Ausmaße. Der Inbegriff des Luxus war ein Badezimmer mit Sitzbadewanne, in der das Wasser mit Holz und Briketts aufgewärmt wurde.
Vor zehn Jahren wurde das Museum noch einmal deutlich erweitert, auch mit Unterstützung von Bund und Kommune. Dort ist eine original Milchbar aus den 50er Jahren entstanden, ein Ort für regelmäßige Veranstaltungen. Man könnte den ganzen Tag in dem Museum verbringen und würde dennoch immer wieder etwas Neues entdecken.
Sorge um die Zukunft
Walter Arbeiter sorgt sich sehr um die Zukunft seines Lebenswerkes. „Ich bin 78 Jahre alt, und wer weiß, wie lange ich meine Aufgabe hier als Erster Vorsitzender noch erfüllen kann. Ich möchte gern, dass das Museum zukunftsfähig gemacht wird. Die Stadt zögert noch, eine Schenkung anzunehmen. Alternativ wurde eine Fusion mit dem Büdinger Geschichtsverein erwogen, dem jedoch das mögliche Risiko für eine lange Zukunft zu groß war. Es wäre schade, wenn dieses Museum für Büdingen verlorenginge. Es gehört zu den bedeutendsten Besuchermagneten der Stadt überhaupt.
Was es sonst noch zu sehen gibt
Büdingen ist eine der schönsten Städte der Region mit einer wunderbar erhaltenen Altstadt und fünf weiteren Museen:
- Heuson-Museum, schräg gegenüber als ältestes Regionalmuseum Hessens
- Sandrosen-Museum im Jerusalemer Tor
- Modellbaumuseum
- Schlossmuseum
- Metzgermuseum
Darüber hinaus ist ein Gang durch die Altstadt ein Erlebnis für sich. Die Büdinger Tourismus- und Marketing GmbH bietet außerdem spannende Führungen zu verschiedenen Themen an.